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Wer entscheidet, wenn ich nicht mehr kann

03. November 2018

Wer entscheidet, wenn ich nicht mehr kann
Wer entscheidet, wenn ich nicht mehr kann

Selbstbestimmung bei Urteilsunfähigkeit

Wann das Leben welche Wendung nimmt, das wisse man nie, bemerkt Annina Spirig, Leiterin Fachstellen Sozialberatung und Information bei Pro Senectute Schweiz. Darum sei es für alle Erwachsenen sinnvoll, sich mit der eigenen Vorsorge zu befassen. Hier ein aufklärendes Interview zum Vorsorgeauftrag.

Frau Spirig, können Sie uns erklären, was ein Vorsorgeauftrag ist? Wann kommt er zum Einsatz?

Mit einem Vorsorgeauftrag bestimmen Sie, wer im Falle Ihrer Urteilsunfähigkeit im Alltag für Sie sorgt, wer Ihre Finanzen regelt und Sie in rechtlichen Angelegenheiten vertritt. «Wer bezahlt meine Rechnungen, wenn ich es selber nicht mehr kann?» oder «Wer sorgt für mein körperliches und geistiges Wohlergehen?» sind beispielsweise Fragen, die Sie mit einem Vorsorgeauftrag klären und organisieren können.

Ab wann liegt ein gültiger Vorsorgeauftrag vor? Welche Anforderungen muss er erfüllen?

Beim Vorsorgeauftrag verhält es sich wie beim Testament: handschriftlich verfassen, datieren und signieren. Ist das nicht möglich, muss man ihn notariell beurkunden lassen.

Wer kann beauftragt werden?

Neben einer natürlichen kann auch eine juristische Person beauftragt werden. Sobald der Vorsorgeauftrag in Kraft tritt, entscheidet diese, ob sie die Aufgabe annehmen möchte. Wird abgelehnt, wendet man sich an eine stellvertretend beauftragte Person, falls aufgeführt. Sollte diese ebenfalls ablehnen, prüft die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die Errichtung einer Beistandschaft.

Ein Vorsorgeauftrag wurde erstellt − was dann? Wer verwaltet Vorsorgeaufträge und kümmert sich um deren Berücksichtigung im Ernstfall?

Natürlich ist es ganz wichtig, mit den eingetragenen Vertretungspersonen über den Inhalt des Vorsorgeauftrages zu sprechen, ihnen eine Kopie auszuhändigen und sie darüber zu informieren, wo sich das Originaldokument befindet. Dieses sollte an einer gut auffindbaren Stelle in den Wohnräumen aufbewahrt werden − am besten zusammen mit anderen offiziellen Dokumenten. Im Ernstfall wissen die Vertretungspersonen über den Aufbewahrungsort Bescheid und können dann die weiteren Schritte einleiten. Das zuständige Zivilstandsamt kann auch in seiner zentralen Datenbank hinterlegen, dass jemand einen Vorsorgeauftrag erstellt hat. Das muss aber extra beantragt werden.

Wie wird gewährleistet, dass beauftragte Personen auch gemäss Auftrag handeln?

Die zu beauftragende Person wird einmalig von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde geprüft − jedoch noch vor der Validierung des Auftrags. Danach kann sie in ihrem Aufgabenbereich frei agieren. Darum rate ich dazu, nur eine Person einzusetzen, der man volles Vertrauen schenkt.

Kann ein gültiger Vorsorgeauftrag wieder aufgehoben werden, und wessen bedarf es dazu?

Ja, der eigene Vorsorgeauftrag kann jederzeit widerrufen werden, solange der Vorsorgefall noch nicht eingetreten, also die auftraggebende Person noch nicht urteilsunfähig geworden ist. Ein neu erstellter Vorsorgeauftrag tritt − solange er nicht einfach eine Ergänzung des früheren darstellt − automatisch an dessen Stelle.

Was ist der Docupass?

Der Docupass enthält Vorlagen für die Patientenverfügung, den Vorsorgeauftrag, die Anordnungen für den Todesfall und darüber hinaus noch Erläuterungen zum Erstellen eines Testamentes − also ein hilfreiches Dossier zum Festhalten und Regeln der persönlichen Wünsche.

Entscheidet einmal eine Behörde oder ein Gericht, ist die juristische Korrektheit des ausformulierten Willens von grosser Wichtigkeit. Inwiefern kann Pro Senectute Rechtssicherheit bei der Beratung gewährleisten?

Je genauer die Angaben und Willensäusserungen formuliert sind, desto besser werden diese umsetzbar sein. Unsere Vorlage im Docupass eignet sich besonders für Personen mit «einfachen Verhältnissen». Bei grossem Vermögen und/oder mehreren Liegenschaften empfiehlt Pro Senectute eine notarielle Beratung für die Erstellung des Vorsorgeauftrages.

Den Vorsorgeauftrag gibt es seit der 2013 durchgeführten Reform des Erwachsenenschutzrechts, er ist also ein relativ neues Instrument der Vorsorgemassnahmen. Hinkte die Schweiz mit einer solchen Möglichkeit zur Durchsetzung des eigenen Willens im Falle einer Urteilsunfähigkeit hinterher? Kennen Sie die Sachlage in anderen Ländern?

Die Vorsorgeinstrumente, die mit dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht geschaffen wurden, waren Teil einer Gesamtrevision des schweizerischen Familienrechts im Januar 2013. Dazu gehört auch das Vormundschaftsrecht, das vor der Revision über 100 Jahre alt war. So gesehen kann man tatsächlich sagen, dass die Schweiz bei der Durchsetzung des neuen Gesetzes gegenüber anderen Ländern hinterherhinkte. Bereits in den 90er-Jahren fanden in Deutschland, Belgien und Österreich Überarbeitungen des Vormundschaftsrechts statt.

Wie fleissig sorgt die Schweiz vor?

Unsere Erhebung aus dem Jahr 2017 hat gezeigt, dass nur 22 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz eine Patientenverfügung ausgefüllt und sogar nur 12 Prozent einen Vorsorgeauftrag erstellt haben. Pro Senectute empfiehlt grundsätzlich allen erwachsenen Personen, sich mit der persönlichen Vorsorge auseinanderzusetzen, und bietet daher umfassende Wissensvermittlung in Kursen oder Veranstaltungen an, um aufkommende Fragen und Unsicherheiten bezüglich des neuen Erwachsenenrechts zu beantworten und Unsicherheiten auffangen zu können.

Gibt es noch etwas, worauf Sie hinweisen möchten?

Es bleibt zu betonen, dass die persönliche Vorsorge freiwillig ist. So wichtig die Aufklärung und ein bewusster Entscheid dafür oder dagegen sind, so wichtig ist es, dass kein gesellschaftlicher Druck entsteht, die Instrumente des neuen Erwachsenenschutzrechts anwenden zu müssen.